Rezension: Im Leben nebenan
Schon etwas länger schlich ich um ein Buch herum, welches ich mir nun doch endlich holte und sofort las:
„Im Leben nebenan“ von Anne Sauer.
Wie wäre das Leben verlaufen, hätte man die eine entscheidende Abzweigung nicht genommen?
Eines Morgens erwacht Toni nicht wie gewohnt neben ihrem langjährigen Freund in ihrer kleinen Altbauwohnung, weil die Dielen knarren und die Nachbarn viel zu laut sind. Nein. Zu ihrer Verwunderung befindet sie sich in einer großzügig geschnittenen Wohnung. Alles hell, ordentlich, teuer eingerichtet. Und der Blick aus dem Fenster? Seltsam vertraut. Antonia versteht: Sie ist wieder in dem Dorf ihrer Kindheit. Nach und nach erfährt sie, dass sie hier ein beschauliches Leben führt, bürgerlich geordnet, mit Auto vor der Tür, Schwiegermutter nebenan und Kind auf dem Schoß. Kind auf dem Schoß? Antonia kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus. Ist das etwa ihr Baby? Und der Vater dazu? Offenbar ihre erste große Liebe – ein Mann, den sie nie ganz vergessen konnte.
Anne Sauer erzählt davon, wie das eigene Leben verlaufen könnte, hätte man die eine entscheidende Abzweigung nicht genommen. ‹Im Leben nebenan› spiegelt zwei Lebensszenarien einer jungen Frau, erzählt im Wechsel von zwei Versionen eines Lebens und nimmt dabei mit gebotenem Humor, Gefühl und Leichtigkeit den Horror von gewollter und ungewollter Mutterschaft in den Blick: das große Glück mit Kind, aber auch: ohne Kind zu leben.
Und so viel vorab: Leider hat mich dieses Buch enttäuscht.
Weil ich dieses Mal beim Erklären meiner Gründe nicht vollständig auf Spoiler verzichten kann, hier die SPOILERWARNUNG!
Ich glaube, dass einer der Gründe, wieso ich so enttäuscht bin, ist, dass ich handlungstechnisch etwas ganz anderes erwartet habe…. Ich habe gedacht, dass hier zwei Lebensszenarien zwischen gewollter Mutterschaft und gewollter Kinderlosigkeit dargestellt werden. Allerdings ist das nicht der Fall. Denn in dem Leben ohne Kind möchte die Protagonistin erst einmal Kinder haben. Und dann wacht sie in dem Leben auf, wo sie ein Kind mit ihrer ersten großen Liebe…. Das ist für mich schon ein deutlicher Unterschied.
Auch habe ich nicht verstanden, wieso die Protagonistin überhaupt in diesem anderen Leben aufwacht und sich an ihr altes Leben erinnert. Ich hätte hier schon gerne eine Erklärung gehabt oder alternativ gerne einfach die zwei Szenarien ohne den Aspekt des „eines Morgens in einem anderen Leben aufwachen“. Da sich Antonia an ihr altes Leben erinnert, versucht sie natürlich, in dieses zurückzukehren, sodass dies zunächst viel Raum in der Geschichte einnimmt. Meiner Meinung nach kann man das Thema Mutterschaft unter den dargestellten Bedingungen nur schlecht beleuchten: Ich meine, man wacht in dem Glauben, eine kinderlose Frau zu sein, auf und hat plötzlich ein Kind mit einem Mann, den man jahrelang nicht gesehen hat, in einem fremden Haus….. Das sind ja alles noch zusätzliche Aspekte, die das Thema verzerren.
Leider konnte ich trotz des soliden Schreibstils maximal 20-30 Seiten am Stück lesen, weil das Buch sich sehr auf die negativen Aspekte beider Lebensrealitäten konzentriert. Dies hat mich doch sehr angestrengt bzw. runtergezogen, sodass ich eben nur ein paar Seiten lesen konnte. Und das ist tatsächlich auch mein nächster Kritikpunkt: Ich fand, dass es fast ausschließlich negative Seiten beleuchtet hat. Ich kann verstehen, dass man mit einem großen Kinderwunsch, der sich nicht erfüllt, sehr damit zu kämpfen hat und nicht gerade guter Stimmung ist. Aber in dem Leben mit Kind, selbst nach Monaten in diesem Leben, wird sich nur auf das Negative fokussiert. Das fand ich auch etwas unrealistisch.
Mit der Protagonistin Antonia/Toni wurde ich auch nicht warm. Ich habe eigentlich nichts über sie erfahren, es ging ausschließlich über den Umgang mit den zwei Lebensszenarien und die Mutterschaft. Was die Persönlichkeit von Antonia noch ausmacht, weiß ich nicht. Auch ihre Beziehungen blieben sehr blass und ich erfuhr nur sehr wenig über die Männer sowie andere Freundinnen und Freunde von Antonia.
Und das Ende war für mich persönlich auch nicht zufriedenstellend. Ich hatte im Vorfeld gehört, dass es ein offenes Ende sein sollte und kein Leben als das Bessere deklariert wird. Ich bin da nicht ganz der Meinung: Aus meiner Sicht endet ein Leben etwas positiver, was ich nicht gut fand.
Fazit:
Die Geschichte konnte mich leider überhaupt nicht überzeugen: Das lag einerseits mit Sicherheit an meiner Erwartungshaltung. Ich hatte die vorab zu mir durchgedrungenen Informationen anders interpretiert und daher einen völlig anderen Fokus angenommen. Trotzdem muss ich andererseits sagen, dass mir der anhaltende Blick auf die negativen Aspekte der Lebensversionen die Lust zum Weiterlesen genommen haben und ich mit der Protagonistin nicht warm wurde. Ich kann es leider nicht empfehlen.
Wenn ihr das Buch gelesen habt, würde mich sehr interessieren, wie ihr es empfunden habt. Schreibt mir gerne dazu.
